M. Wallraff: Sonnenkönig der Spätantike

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Titel
Sonnenkönig der Spätantike. Die Religionspolitik Konstantins des Großen


Autor(en)
Wallraff, Martin
Erschienen
Freiburg 2013: Herder Verlag
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Heinz Sproll

Der Autor beansprucht, drei «Mauern» niederzureißen, die einen objektiven Blick auf die Religionspolitik Konstantins des Großen bisher verhindert hätten: (Kapitel 1: «Drei Mauern: Wege und Abwege der Konstantinforschung»)
1. Die angeblich christliche Vereinnahmung dieser Politik in dem Sinn, dass sie über christliche «Überlieferungsfilter» post festum geschichtlich erfolgreich von einer späteren dogmatischen Orthodoxie interpretiert wurde.
2. Die «makroskopische» Vorstellung von «Wenden», vom «Sonstigen» zum «Christlichen», zum «Konstantinischen Zeitalter» im Sinne einer angeblichen Teleologie, die in Konstantins Religionspolitik eine Erfüllung der Geschichte der Alten Welt konstruierte.
3. Die angeblich christlichen Projektionen geschuldete Unterscheidung zwischen «pagan» und «christlich», die der Komplexität und religiösen Pluralität des 4. Jahrhunderts vermeintlich nicht gerecht würde.

In Kapitel 2 («Bischof, Theologe, Lobredner: Euseb von Caesarea») destruiert der Autor denn auch die Semantik des Eusebius von Caesarea Vita Constantini als propagandistisches, in der Tradition der Enkomien stehendes Machwerk, das demzufolge angeblich ex post als dogmatisches Beweismittel für Konstantins Konversion und seine christenfreundliche Politik vereinnahmt wurde. Dabei geht der Autor von der unbewiesenen Prämisse aus, dass generell nur solche Quellen eine Chancen auf Überlieferung hatten, die späteren Überlieferungsinteressen dienten. So habe Euseb Konstantin keineswegs als eschatologischen Soter in der Tradition der typologischen Patristik (Melito von Sardes, Origines) dargestellt. Erst die Kirchenhistoriographie des 5. Jahrhunderts habe ihn dazu gemacht, indem sie die Vita Constantini fälschlicherweise als Fortsetzung der Historia Ecclesiastica Eusebs verstanden habe. Im Unterschied zu den theologischen Schriften des Bischofs von Caesarea habe die Vita Constantini als Propagandaschrift ad extra für die Binnenverständigung der frühen Kirche somit auch nie eine bedeutende Rolle gespielt. Euseb habe je nach diversen Kommunikationskontexten je unterschiedlich als Bischof, Theologe oder Lobredner agiert.

Dabei werden theologische Forschungen (u.a. von R. Farina, P. Koslowski, A. Schindler) wie sorgfältige Quellenanalysen von Historikern wie T. Barnes, B. Bleckmann, H. Brandt, K. M. Girardet, um nur einige zu nennen, einfach übergangen, so dass der vom Autor praktizierte extreme methodologische Pyrrhonismus nicht durchzuhalten ist, wie die Ausführungen der nachfolgenden Kapitel belegen.

Kapitel 3 («Der Weg zur Macht») führt denn auch diese Hermeneutik des Verdachts fort, indem es von einer stufenweisen Hinwendung Konstantins zum Christentum über den Sol Invictus (Grand 310) und invictus Christus/Sol Iustitiae (Trier 311; Schlacht am Pons Milvius 28. Oktober 312) (zu diesem Ereignis vgl. u.a. H. Brandt, D. Dassmann, W. Kuhoff, R. Turcan) nichts wissen will, da er in den Quellen nur divergierende, interessengeleitete Deutungen der solaren Vision sehen will. Zu diesem Schluß kann der Autor nur kommen, wenn er Quellen ignoriert, die nicht in sein hyperkritisches Deutungsschema passen. Er disqualifiziert nicht nur Lactantius De mortibus persecutorum 24,9 zur Aufhebung des Kultverbots gegen die Christen durch Konstantin 306 und De mortibus persecutorum 44, 5–6 zu Konstantins Traumgesicht so wie Eusebius Vita Constantini I, 28ff, sondern auch Optatus von Mileve appendix V, das Entlassungsschreiben Konstantins an das Konzil von Arles 314, in dem der Kaiser mit der Formulierung ad regulam iustitiae converti seine persönliche Wende und im darauffolgenden Satz die Zeit vor seiner Wende belegt, als durch «offiziöse» Texte bezeugte Ereignisse, die «von einer Wolke religiöser Deutungsmotive umgeben sind». (70). Nach demselben Verfahren wird Konstantins Schilderung der Wende zum Christentum in der oratio ad sanctorum coetum Kapitel XI, 1–2 vom Karfreitag, den 16. April 314 geflissentlich ignoriert (vgl. 178 im Kontext der Quellenkritik).

Die Deutung des von Senat und Volk gewidmeten Ehrenbogens anläßlich des Decennalienjahres 315/16 für den siegreichen Kaiser unterschlägt den Hinweis auf die in der Forschung (J. Ruyschaert, M. Wilson Jones) gewonnene Erkenntnis der durch Konstantins conversio neu eingetretenen Ambiguität, die sich in der Formulierung des instictu divinitatis ausdrückt, ebenso wie auf das im Zusammenhang mit dem adventus unterlassene Dankesopfer des Kaisers vor dem Tempel des Iuppiter Optimus Maximus auf dem Kapitol, das schon J. Straub 1955 als signifikanntes Indiz für die Hinwendung Konstantins zum Christentum gedeutete hatte.

Auch die christliche Deutung der monumentalen Konstantinstatue (Eusebius, Historia Ecclesiastica IX, 9, 11; Vita Constantini I, 40,2), deren Fragmente in der westlichen Apsis der von Konstantin umgebauten Basilika des Maxentius gefunden wurden und im Innenhof des Konservatorenpalastes aufbewahrt werden, wird als voreingenommen abgetan. Die ältere archäologische Position (besonders R. Krautheimer), der christliche Kirchenbau durch Konstantin habe sich nur am Rande der Urbs bewegt, wird trotz neuerer Forschungsergebnisse (S. Dieffenbach) vom Autor rezipiert, um seinem performativen Deutungsinteresse zu genügen, die Religionspolitik des Kaisers aus den Mauern einer angeblichen christlichen Deutungshegemonie zu befreien. Dem eingeschlagenen Interpretationspfad folgt der Autor auch, wenn er Münzen mit Sol comes-Prägungen ab 310 als aequivok einstuft, das Belgrader Goldmultiplum von 326 (RIC VII 451 Nr. 207), das den Kaiser mit dem Labarum als vexillum fidei in der Hand zeigt, mithin mit seiner univoken christlichen Botschaft aber einfach übergeht. Bestritten wird demzufolge auch, daß Konstantin durch zwei Gesetzestexte von 321 (Codex Iustinianus II, 12, 2 (3) und Codex Theodosianus II, 8,1) den dies solis zum staatlich verordneten Ruhetag machte, der auch die Nicht-Christen zu seiner Einhaltung verpflichtete. Mehrdeutig erscheinen dem Autor auch die von Konstantin 313/14 eingerichteten Privilegien für Klerus und Gemeinden der Christen (manumissio in ecclesia [316 bzw. 321, Codex Iustinianus I, 13, 1–2], audientia episcopalis, 318 [Codex Theodosianus I, 27]. Dem beschriebenen Deutungsschema zufolge konnte die Gesetzgebung Konstantins bestenfalls religiös, auf keinen Fall aber christlich motiviert sein. Die damit verbundenen ordnungspolitischen Bestrebungen des Kaisers im Rahmen seines munus principis entgehen dem Autor dabei völlig.

Die Kapitel 6 («Kirchenpolitik und Kirchenbau»), 7 («Traditionelle Kulte») und 8 («Tod und Bestattung») folgen konsequent dem eingeschlagenen Deutungspfad: Gerade die Mailänder Vereinbarung vom Frühjahr 313 zwischen Konstantin und Licinius, vom Autor als «Integrationsprogramm » (178) qualifiziert, beinhalte in seiner «inklusiven(n) Sprache» (115) ein polymorphes Gottesbild einer summa divinitas. Von einer libertas religionis will der Autor nicht sprechen, nach dessen Deutung Konstantin mit der Einberufung des Konzils von Nizäa 325 nur ein funktionales Interesse im Sinne eines «innerkirchliche (n) Krisenmanagments» (118) und einer Triumphfeier über Licinius verband. Immerhin konzediert er Konstantin eine «epochale Bedeutung» (123) für den christlichen Kirchenbau in seiner basilikalen Form, um dann gleich wieder diese «makroskopische» Perspektive in Frage zu stellen.

Eusebs Hinweis (Vita Constantini II, 45,1) auf ein Gesetz, das generell Opfer verbot, erregt das Mißtrauen des Autors und eine Entpaganisierung der Öffentlichkeit, beispielsweise durch Entfernung des Kaiserbildes aus den Tempeln (Eusebius Vita Constantini IV, 16) will er nicht wahrnehmen, wohingegen die Quellenindizien zur kaiserlichen Förderung traditioneller, nichtchristlicher Kulte (so z.B. das Reskript von Hispellum 333/335; ILS 705) unkritisch rezipert werden.

Versucht man im Anschluß an Kapitel 9 («Sonnenkönig der Spätantike: Konstantins unorthodoxe Religionspolitik») ein Résumé zu ziehen, drängt sich die Frage auf, wie es der Autor fertigbringt, trotz seiner Hermeneutik des Verdachts gegen angeblich christlich-orthodoxe Quellen weitreichende Schlüsse zu ziehen, die beanspruchen, gesicherte Forschungspositionen auszuhebeln. Die Realisierung der ersten Absicht, die Deutung Konstantins aus den Mauern der christlich-orthodoxen Deutungshegemonie zu befreien gelingt aber nur, wenn Quellen, wie gezeigt, ignoriert oder gefestigte Forschungspositionen «gegen den Strich» gebürstet oder relativiert werden.

Um sein Ziel zu erreichen, scheut sich der Autor auch nicht vor dem Anachronismus, der Konstantin in die Nähe Ludwigs XIV. rückt, wie der Titel schon ankündigt, so als ob letzterer einem wie immer gearteten solaren Kult ergeben gewesen wäre. Konstantins Religiosität, die der Autor nicht bestreitet, musste ihm zufolge zwischen diversen Kulten changieren, um seine These zu bestätigen, eine Trennung von «pagan» und «christlich» träfe auf sein religionspolitisches Handeln nicht zu. Die unklare semantische Bezeichnung Christi als Sol Iustitiae (Eusebius Laus Constantini VI, 20), die nicht zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen sprachlicher Metapher und ontologischer Erkenntnis unterscheide, belege dies.

Indem der Autor indes übersieht, dass Konstantin sehr wohl ontologisch zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen zu unterscheiden wusste (oratio ad sanctorum coetum I, 2; VI, 5ff und XXI, 1; Eusebius Vita Constantini II, 58), legt er im Subtext den Verdacht auf einen pagan gefärbten Arianismus bei Euseb bzw. Konstantin nahe, wie er auch besonders von Erik Peterson (1890–1960) in seiner Kontroverse mit Carl Schmitt (1888–1985) geäußert wurde.

Zugleich wird dann, wie bei Peterson, Eusebs gesamte Geschichtstheologie als propagandistische, interessengeleitete theologische Politik diffamiert, wenn man, wie der Autor es unternimmt, Konstantin einen providentiellen Status im Werk des Bischofs von Caesarea abspricht. Wenn der Autor den performativen Synkretismus als besonderer Charakteristikum für Konstantins Religionspolitik wiederholt apodiktisch hervorhebt, zeigt er sich nicht nur diskursunfähig gegenüber gesicherten Positionen der diesbezüglichen Forschung, er übernimmt auch implizit das funktionalistische Deutungsparadigma Jakob Burckhardts (1818–1897), Konstantin habe Christentum und Kirche zum Zwecke der Maximierung staatlicher Handlungskapazität instrumentalisiert, – nur um nicht konzedieren zu müssen, daß Konstantin, motiviert von seiner universalistischen Christianisierungsidee, als episcopus episcoporum, nach der konsistenten Funktionslogik seines Handelns spätestens seit 312 dem Christentum dauerhaft den Weg zur Weltreligion eröffnete.

Wenn dann endlich behauptet wird, Konstantin sei am Christentum gescheitert, dann erhebt sich nicht nur die Frage, ob sich nicht doch gegen die ursprüngliche Absicht des Autors wieder eine «makroskopische», lineare Perspektive in seine Deutung einschleicht, sondern auch, welche noch offenzulegende epistemologischtheologischen Prämissen und normative Zielmaßstäbe überhaupt seine Interpretation der konstantinischen Religionspolitik durchgängig bestimmen.

Wird nicht in seinem stellenweise redundanten Bemühen, die drei Mauern einzureißen, in denen die bisherige Konstantindeutung angeblich gefangen sei, eine ältere, durch die Forschung längst eingerissene Mauer wieder errichtet, in der im Gefolge von Franz Overbecks (1837– 1905) Dekadenzideologem Konstantins persönliche Religiosität und mithin seine Religionspolitik als Symbol für ein pagan kontaminiertes Christentum, mehr noch: für die Unterwerfung der Kirche unter den paganen Staat und damit für den Abfall von der angeblich biblischen Liebesgemeinde zur hellenistisch bzw. römisch deformierten Institution der Rechts- und Machtkirche (R. Sohm) gefesselt und gegen ein ungeschichtlich konstruiertes, vermeintlich biblisches Urchristentum ausgespielt wird? Dann würde im Selbstwiderspruch gegen seine Kritik an der klaren Unterscheidung zwischen Heidentum und Christentum und in Umkehrung der vom Autor so sehr kritisierten hegelianischen Geschichtsteleologie eine mit den Paradigmen Burckhardts und Overbecks eng verbundene Deutungshegemonie aus dem 19. Jahrhundert repristiniert und neu beansprucht werden, deren Chancen auf wissenschaftliche Akzeptanz in der scientific community angesichts der wissenschaftlichen Fortschritte der vergangenen Dezennien bei der Erforschung der konstantinischen Wende nicht allzu groß sein dürften.

Zitierweise:
Heinz Sproll: Rezension zu: Martin Wallraff, Sonnenkönig der Spätantike. Die Religionspolitik Konstantins des Großen, Freiburg/Basel/Wien, Herder, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 411-414.

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